Ein junger Musiker namens Alessio kam einige Monate vor Weihnachten in meine Musik- Schule. Traurig sah er aus, als er so vor mir stand. Blutjung und noch recht unbeholfen wirkte er. Es war das erste Mal dass er seine Heimat Italien verließ. Er stammte aus Catania, eine Stadt in Sizilien.
Er hatte ein sehr schönes, ausdrucksvolles Gesicht mit dunklem Haar mit wunderbaren Augen, die mich halb trotzig, halb erwartungs- voll ansahen. Ich erklärte ihm, dass sein Onkel Giulio mich bat ihn weiter zu unterrichten. Er versuchte Haltung zu bewahren und begrüßte mich freundlich aber sehr zurückhaltend.
Hinter der längeren dichten Künstler-Mähne und den melodischen Worten, fühlte ich, dass er ziemlich unglücklich war. Ich fragte ihn ob er seine eigene Geige mit hätte. Er bejahte dies, schien aber sehr verärgert zu sein.
Ich fragte nicht weiter danach, hatte aber natürlich eine Ahnung worum es dabei ging. Natürlich hatte mir sein Onkel von ihrem Disput erzählt. Fast täglich kam er zum Unterricht. Er war ein wirklich begnadeter Geiger. Wenn er spielte, dann berührte es wirklich die Herzen der Menschen aber irgendetwas fehlte noch. Es war dieses Einssein mit seinem Instrument.
Er hatte einen wirklich großen Traum. Eines Tages wollte er gerne auf der Stradivari seines Vaters spielen. Er erzählte mir, dass seine Eltern bei einem schweren Autounfall ums Leben gekommen waren. Sein Onkel Giulio hatte somit die Fürsorge für ihn übernommen. Er war ein harter und sehr strenger Mann aber gerecht.
Seine Frau und sein Kind sind bei der Geburt genau an Weihnachten gestorben. Somit wurde dieses Fest kein einziges Mal nach dem Tod seiner Eltern mehr gefeiert. Der kleine Alessio hatte danach nicht wieder diese Nestwärme wie mit seinen Eltern erfahren. Seither ging er traurig durchs Leben. Das einzige Glück welches er empfand, war beim Spielen seiner Violine.
Er war hochbegabt. Das stellte sich im Alter von drei Jahren bei ihm heraus. Seine Eltern hatten ihn zuvor gefördert. Onkel Giulio sah es danach als seine Pflicht an, das beizubehalten. Sicherlich war es nicht einfach einen 7 jährigen Knaben bei sich aufzunehmen und ihm halbwegs die Eltern zu ersetzen. Aber das war auch nicht sein Anspruch.
Es gab sogar eine Zeit in der Giulio sich gefragt hatte, weshalb ihm Gott seine Familie nahm und ihm dann ein Jahrzehnt später diesen Jungen übergab. Aber schließlich schloß er den Sohn seines Bruders dann doch in sein Herz.
Der junge Geiger hatte kein schlechtes Leben aber natürlich fehlten ihm seine Eltern schmerzlich. Umso schlimmer war es jetzt für ihn, dass sein Onkel ihn zum letzten Schliff zu mir nach Wien schickte. Das es zu seinem Besten war und er noch zu Weihnachten etwas Wundervolles erleben würde, konnte er natürlich nicht ahnen.
Schließlich vertraute sich Alessio mir an, dass er sich in eine wunderschöne junge Frau verliebt hatte namens Estella. Als er sich mehr ihr als seiner Musik zuwandte, beschloss sein Onkel ihn nach Österreich zu schicken. Das war es was sein Gemüt und sein Herz so schmerzhaft belastete. Fast noch mehr als die Tatsache, dass ihm sein Onkel wohl niemals die Stradivari überlassen würde, solange er lebte.
Ich versand ihn sehr gut und sprach ihm Mut zu. Er möge doch bitte beim nächsten Spiel mit seiner Geige dieses Gefühl mit hineinlegen, welches er empfand, wenn er an seine Estelle dachte. Er versprach mir das zu tun und seine schönen Augen fingen sofort an zu strahlen.

Mittlerweile sind ein paar Monate vergangen. Und nun kam Weihnachten heran. Ich holte den ganzen Tannenbaum Schmuck heraus und wir schmückten gemeinsam den Baum. Ihr hättet die erstaunten Augen sehen müssen als meine Tochter aus Italien zu uns kam. Er stand fassungslos da und und sagte zu mir: “ bitte kneife mich Mariella. Ich glaube, ich werde verrückt.“
Ich lächelte und sagte: Nein mein lieber Junge, du träumst nicht, das ist jetzt real. Darf ich dir vorstellen? Das ist meine Tochter Estella. Aber ich weiß natürlich schon längst von deinem Onkel Giulio, dass ihr einander kennt.‘
Ich umarme meine Tochter innigst und sagte dann: „Meine Lieben, ich habt euch bestimmt eine Menge zu erzählen, nun nehmt euch schon in dir Arme und begrüßt euch. Da der Baum geschmückt ist und alles steht, habt ihr noch etwas Zeit miteinander, bevor wir ins Konservatorium gehen um dort eine kleine Feier abzuhalten für die Waisenkinder hier.“
Die beiden fielen sich überglücklich in die Arme und streichelten sich gegenseitig über die Schultern und das Gesicht. Sie konnten es kaum fassen, dass sie sich zu Weihnachten auf dieses Wiedersehen freuen durften. Und dann küssten sie sich ganz innigst und zärtlich zum allerersten Mal. Keine Süßigkeit der Welt hätte diesen Kuss übertreffen können.
Sie hatten sich schon eine ganze Weile angeregt unterhalten, als ich zu ihnen sagte: „es tut mir von Herzen leid euch beide aus eurer Unterhaltung rausreißen zu müssen, aber wir müssen jetzt los.“
Die beiden lächelten und freuten sich auf den kommenden Auftritt. Als sie im Konservatorium ankamen, herrschte schon ein reges Treiben. Die kleinen Gäste, einige angehenden Adoptiveltern und ganz viele Sponsoren wurden schon in den Saal geleitet und saßen nun erwartungsvoll dort.
Ich begrüßte alle herzlich Willkommen und stellte meinen jüngsten und talentiertesten Geiger Alessio vor. In diesem Moment kam sein Onkel Giulio auf die Bühne, er nahm seinen Neffen in die Arme und sagte, Mariella hat mich die ganze Zeit informiert über deine Fortschritte. Ich bin so stolz auf Dich und deine Eltern sind es auch,“ Er zeigte mit seiner Hand nach oben in Richtung Himmel.

Im nächsten Moment übergab er ihm das kostbarste Vermächtnis seines Vaters : die Stradivari. Ehrfürchtig mit Tränen in den Augen, nahm Alessio die Geige in seine Hände und dann fing er an das „Ave Maria,“ zu spielen und Estelle stimmte im schönsten Sopran mit ein.
Sie spielten und sangen viele wunderschöne bekannte Weihnachtslieder und baten das Publikum mitzusingen. Es war so wunderschön, dass man das Gefühl hatte, das dieses Weihnachtskonzert vom Himmel gesandt wurde. Alle Menschen waren zutiefst gerührt und berührt.
Im Anschluss an das weihnachtliche Miteinander, kam noch der Weihnachtsmann mit dem Christkind und seinen Engeln und sie verteilten Geschenke für die Waisenkinder. Deren Augen strahlten mehr vor Glück als die vielen Lichter und die bunten Kugeln an den Tannenbäumen.
Als wir vier uns auf dem Rückweg nach Hause befanden, schien heller Lichterglanz auf unserem Wege, und in den Häusern zündete man schon die Weihnachtsbäume an. Allesio schwieg. „Welch ein merkwürdiger Tag“, sagte er plötzlich, „mir ist`s, als ob es wirklich Frieden auf Erden wäre, so wie in meiner Seele.“
Wir konnten ihm alle nur zustimmen.Versunken stand er neben mir, mit dem Blick auf die Weihnachtsbäume und die vielen Lichterketten gerichtet mit einem wunderschönen Ausdruck in seinen großen, strahlenden Augen.
Und das Schönste war, dass Alessio mehrere Herzenswünsche an diesem Tag erfüllt bekam. Aber nicht nur er. Wir hatten an diesem Abend unzählige Menschen glücklich gemacht.
Und nun kam auch bei uns die schöne Stunde des Bescherens. Meine Tochter und mein Schützling waren „die Kinder“, die hinter der Tür harren mussten, bis das Zeichen zum Herankommen erklang. Und dann öffnete sich die Tür und wir sangen: „Von Himmel hoch, da komm ich her!“, und unser Junge bekam seine Geschenke…
die ihn in einen Freudenrausch versetzten. Nach dem Abendessen saßen wir im Weihnachtszimmer, es duftete nach Tannen, nach Wachs und all den herrlich duftenden Weihnachtstellern und Orangen mit Zimt, die das Zimmer füllten.
Onkel Giulio war so gerührt, dass ihm das Herz aufging und er erzählte von „zu Hause“, wie trostlos er sich all die vielen Jahre fühlte nach dem Verlust seiner Familie und daß Alessio ihn im Nachhinein gerettet hat vor dem völligen Vereinsamen. Er sagte:
„Alessio, mein lieber Junge, bitte verzeih mir, wenn ich dir zuweilen zu streng erschien aber ich gab deinen Eltern das Versprechen, dass Du dein Talent vollends entfalten wirst und deshalb musste ich dich herschicken. Du hast dich großartig gemacht und wenn Du es möchtest, dann reisen wir vier nach Sylvester, gemeinsam nach Sizilien zurück.
„Wir vier?“ fragte der junge Geiger. „Ja, mein lieber Junge, Mariella mit Estella, die wieder in Italien leben möchten, vielleicht bei uns und Du mit mir. Würde dir das gefallen? Und nie wieder wird uns etwas trennen. Ab jetzt feiern wir alle gemeinsam jedes Jahr Weihnachten. Was hältst du davon?
Da bückte Alessio sich tief und barg sein Gesicht auf-schluchzend in seine Hände. Es war ganz still im Zimmer. Man hörte nur das Knistern eines brennenden kleinen Tannenzweiges, der einem Lichtlein zu nahe gekommen war, und das leise, kaum hörbare Schluchzen, das aus seiner jungen Seele brach.
Dann ließ er die Hände herabsinken und hob sein Tränen überströmtes Gesicht empor. „Ich habe noch nie so ein wunderschönes Weihnachtsfest gehabt“, sagte er, „jetzt weiß ich es, dieses war mein erstes Weihnachtsfest als erwachsener Mann.“ Estelle nahm ihn in die Arme und küsste sein Stirn „Ja mein Liebster, und es werden noch viele unzählige diesem folgen!“

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