Katharina glaubt nicht, was sie soeben gehört hat. Noch nie hat Gabriel angerufen, wenn er pünktlich Heim kam – was sowieso selten genug passierte. Immer nur Verspätungen hatte er angekündigt oder gar plötzliche Geschäftsreisen. Dann hatte sie ihm sogar den Koffer gepackt zum Bahnhof oder Flughafen bringen müssen.

Vorsichtig fragte Katharina nach: „Also, Gabriel, versteh’ mich bitte nicht falsch, Kassandra und ich freuen uns sehr, wenn du heute da bist. Aber was ist passiert? Noch nie hast du angerufen, wenn du nicht später oder gar nicht Heim gekommen bist? Und jetzt kündigst du dich an zum pünktlich sein für heute und die ganzen kommenden Tage. Also, was ist passiert?“

Tja, was war passiert? So ganz genau wusste das Gabriel selbst nicht. Und genau erklären konnte er es genau so wenig, wie selbst genau verstehen was mit ihm heute passiert war. Er fühlte sich ein bisschen in das Charles Dickens-Märchen „Scrooge“ versetzt, wenn er an den heutigen Nachmittag zurück denkt.

Seinen neuen Kunden, mit dem er heute den ersten Termin gebucht hatte, hatte er sich doch ganz anders vorgestellt.

Die Sekretärin brachte ein kleines zierliches Mädchen in sein Büro mit den Worten: „Dein Termin, Gabriel“, und verschwand verschmitzt lächelnd. Er hatte aufgeschaut und blickte direkt in die großen tiefblauen Augen des zierlichen Kindes, die ihn fest und durchdringend ansahen.

Eigentlich hatte es in dem Gespräch um die wesentlichen Strukturen von Gemeinschaft gehen sollen und jetzt stand da dieses Mädchen vor ihm. Er hatte sich geräuspert und dann gesagt: „Tja, ich glaube, du bist hier bestimmt falsch. Oder hast du dir einen Scherz mit mir erlaubt?“

„Nein“, hatte die Kleine daraufhin gemeint, „ich bin hier genau richtig und ein Scherz ist das auch nicht.“ Sie war direkt auf Gabriel um den Schreibtisch herum zugekommen, hatte sich auf seinen Schoß gesetzt und den völlig Überraschten bei den Händen gegriffen. Dann sagte sie folgendes:

„Gabriel, ich habe immer tolle Dinge erlebt genau in den Zeiten, in denen es den Menschen nur um die Familie ging. So schöne Dinge kann man gemeinsam tun und sich dabei die herrlichsten Geschenke machen. Und alles was mir wirklich etwas bedeutete, war bisher selbst gemacht oder einfach nur die Zeit, die mit mir verbracht wurde.

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Avatar von Dana Stella Schuhr

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